In diesem Kapitel werden gemäss Art. 23 Bst. a Ziff. 4 KEV die wichtigen personellen und organisatorischen Angaben zum Projekt dokumentiert. Diese Angaben beinhalten im Hinblick auf die späteren Bewilligungsschritte und in Anlehnung an Anhang 4 der KEV ein Grobkonzept zur Entwicklung der zukünftigen Betriebsorganisation mit einem geeigneten Personalstamm sowie Aspekte der Aus- und Weiterbildung. Wichtig ist der Nagra insb. die Absichtserklärung zur expliziten Berücksichtigung menschlicher und organisatorischer Faktoren. In den folgenden Kapiteln werden die beabsichtigten prinzipiellen Merkmale hinsichtlich einer systematischen Personal- und Organisationsentwicklung unter Einbezug der menschlichen und organisatorischen Faktoren (HOF) exemplarisch skizziert.
Für die Projektabwicklung wird eine Organisation aufgebaut, die es erlaubt, die Projekt- und Bewilligungsabläufe so auszuführen, dass für die künftige Anlage und ihren Betrieb relevante Anforderungen nachweislich adressiert und erfüllt werden bzw. eine ganzheitliche Bewertung ermöglicht wird. Der sukzessive Aufbau der Projektorganisation ist dabei flexibel und wird sich entsprechend den jeweiligen Projektphasen mit ihren unterschiedlichen Schwerpunkten anpassen, so dass hieraus letztlich eine geeignete Betriebsorganisation hervorgeht.
Dafür ist vorgesehen, eine angemessene personelle Begleitung der Projektphasen schrittweise mit den notwendigen Fach- und Methodenkompetenzen sowie die erforderlichen Ressourcen sicherzustellen, so dass zum Zeitpunkt der Erteilung der Betriebsbewilligung eine adäquate Organisation mit dem vollständigen Personalbestand bei erforderlicher Fach- und Sachkunde zur Inbetriebnahme der Anlage etabliert ist. Dies schliesst im Vorfeld wie auch beim Betrieb externe Auftragnehmer bzw. Lieferanten mit ein, die ebenfalls entsprechend ihrer Aufgaben eine geeignete, qualitätsgesicherte Organisation mit adäquaten Kompetenzen und Ressourcen bereitzustellen haben. Interne Fachkräfte folgen dabei dem bereits bewährten, zertifizierten Managementsystem (der Nagra), bis die gTL-Bau- und Betriebsorganisation ihr eigenes Managementsystem implementiert hat. Der sukzessive Aufbau und die Ausgestaltung der zum jeweiligen Projektstand angemessenen Organisation wird auf der Grundlage des schweizerischen Regelwerks unter Berücksichtigung der Erfahrungen in den bestehenden Anlagen – insb. dem Zwilag – erfolgen.
Die Umsetzung der Prinzipien einer zeitgemässen Sicherheitskultur innerhalb des gesamten Organisationsgefüges einschliesslich der Führung ist der Nagra von Beginn an ein zentrales Anliegen. So soll die Sicherheitskultur als Summe aller Merkmale und Ausrichtungen einer Organisation und deren Individuen sicherstellen, dass sicherheitsrelevante Themen die entsprechende Aufmerksamkeit und Priorität bereits in der Projektierungsphase erhalten. Dazu zählen u. a. Prinzipien wie eine hinterfragende Haltung, die explizite Berücksichtigung der Schnittstelle Mensch, Maschine und Organisation, eine professionelle Umgangskultur im Team, aber auch der offene und schuldzuweisungsfreie Umgang mit menschlichen, organisationalen und technischen Fehlern. Die Prinzipien sind aufgrund des Erfahrungsrückflusses und des Projektfortschrittes während Bau und Betrieb zu vervollständigen.
Die Organisationseinheiten für Projektierung, Bau, Betrieb und Verschluss sowie deren Aufgaben und Kompetenzen werden sukzessive gebildet und einen abgestimmten Übergang aufweisen. Der Zeitraum zwischen Rahmen- und Baubewilligung bietet ausreichend Zeit für die Zusammenstellung und den Aufbau einer adäquaten jeweils zeitgemässen Organisation im Zuge der Projektierungsphase unter Berücksichtigung von Massnahmen zum Wissenserhalt und -transfer.
Auf Stufe RBG ist eine exakte und vollständige Festlegung der zukünftigen Betriebsorganisation weder sinnvoll noch nötig. Im RBG werden jedoch allgemeine Angaben bezüglich der Vorgehensweise zur Entwicklung der Organisation skizziert.
Eine Projektorganisation mit geeigneten Kernkompetenzen wird aufgebaut45, welche der Projektentwicklung und der Abstimmung mit weiteren Stakeholdern vor Ort (und deren Anforderungen) dient. Sie besteht u. a. aus Fachgebieten zum nukleartechnischen Engineering und zur Projektierung von Oberflächen- und Untertaganlagen. Dabei stehen Aspekte der Sicherheit, Sicherung, Anlagenbaus, Daten- und Anforderungsmanagements, Umweltverträglichkeit bzw. Umweltüberwachung und Raumplanung im Vordergrund. Die Anforderungen aus ENSI G07 (ENSI 2023b) werden zugrunde gelegt.
Die während der Vorstudie aufgebaute Projektorganisation wird zu einem vollständigen Projektunternehmen erweitert, in dem alle relevanten Disziplinen vertreten sind. Diese Organisation ist für die Ausarbeitung der detaillierten Analysen, Nachweise und den folgenden Gesuchsunterlagen verantwortlich, die für das Einreichen des Baubewilligungsgesuch erforderlich sein werden.
Damit die benötigten Kernkompetenzen innerhalb der Organisation vorhanden sind, wird der Personalbestand gemäss dem spezifischen Bedarf angepasst. Verbunden damit ist auch die rechtzeitige Vorbereitung geeigneter Aus- und Weiterbildungsmassnahmen (über alle Phasen). Die Unterstützung des Projekts durch externe, anerkannte Fachexperten sowie der Einbezug der Branchenerfahrung und -expertise wird dabei fortgeführt. Zu gegebener Zeit wird ein projektspezifisches Qualitätsmanagementprogramm gemäss Art. 25 KEV entwickelt.
Die in der Projektierungsphase aufgebaute Organisation wird gemäss derzeitiger Planung weitgehend beibehalten und um die organisatorischen Einheiten ergänzt, die für die Bauphase benötigt werden. Diese erweiterte Projektorganisation wird bau- und montagerelevante Disziplinen abdecken. Darin eingeschlossen sind insb. die Überwachung der Bautätigkeit sowie von Herstellung und Montage der Systeme und Komponenten auf Grundlage der Auslegungsspezifikationen und einzuhaltender gesetzlicher und behördlicher Vorschriften. Entsprechend den Bedürfnissen der Bauphase wird der Personalbestand weiter angepasst und aufgestockt. Zusätzlich wird externe Unterstützung durch anerkannte Fachexperten beigezogen. Es soll sichergestellt werden, dass die Gesamtorganisation den Herausforderungen und Risiken (auf der Baustelle) gewachsen ist und allfällige Ereignisse und Nonkonformitäten erkennen, analysieren, bewerten und korrigieren kann. Eine tragende Rolle spielt in dieser Phase auch das Qualitätsmanagement (nach Art. 25 KEV), dem dabei die besondere Bedeutung zukommt, in Kooperation mit dem technischen Personal mittels Vorort-Prüfungen, aber auch Audits und Reviews, für die sorgfältige Umsetzung aller spezifizierter Arbeiten besorgt zu sein. Insbesondere ist das Management der vielfältigen Schnittstellen zwischen den verschiedenen Stakeholdern (Hersteller/Lieferanten, Projekt-/Bauorganisation, Behörden) sicherzustellen.
Neben dem eigentlichen Bau und der Montage der Anlage werden organisatorische Massnahmen auch hinsichtlich der Inbetriebnahme bzw. des späteren Betriebs vorangetrieben, indem der Aufbau der Betriebsorganisation und die Rekrutierung sowie Ausbildung des dafür notwendigen Personals in Angriff genommen werden soll, so dass rechtzeitig eine entsprechend geschulte und mit der Anlage vertraute Betriebsorganisation bereitsteht. In diesem Zusammenhang ist zu prüfen, inwieweit ein gezielter Wissenstransfer im zeitlichen Vorfeld durch die bereits bestehenden Kernanlagen (beispielsweise Zwilag / PSI) zur Vorbereitung und Ausbildung des Personals für den gTL-Betrieb sowie zur Gewährleistung der Kontinuität in der Sicherheitskultur dienen können.
Des Weiteren wird die Projektarbeit auch hinsichtlich der Inbetriebnahme bzw. des späteren Betriebs vorangetrieben. Dazu soll während der Bauphase der Aufbau der Betriebsorganisation und die Rekrutierung sowie Ausbildung des dafür notwendigen Personals in Angriff genommen werden, mit dem Ziel, dass die Betriebsorganisation bereits vor der Inbetriebnahme hinsichtlich Anlagetechnik und der wichtigen Prozesse entsprechend geschult ist, um rechtzeitig eine operationelle Bereitschaft zu erreichen.
Die Betriebsorganisation entspricht den für ein gTL relevanten Anforderungen aus Art. 30 KEV, wobei die behördlichen Anforderungen aus ENSI G07 (ENSI 2023b) berücksichtigt und umgesetzt werden. Da die Bauorganisation bereits wichtige Fachbereiche, die auch für die Betriebsorganisation essenziell sind, enthält, wird die Betriebsorganisation auf der Bauorganisation aufbauen bzw. aus dieser hervorgehen. Ausgebaut werden muss die Organisation und das Personal um betriebsspezifische Elemente wie bspw. Qualitäts- und Betriebsvorgaben, Instandhaltung sowie Strahlenschutz und ‑überwachung46.
Da sich die Betriebsorganisation bereits während der Bauphase konstituiert, kann sich das Betriebspersonal frühzeitig mit der Auslegung und Technik der Systeme und Komponenten vertraut machen und wird vor Inbetriebnahme für die künftigen Tätigkeiten ausgebildet.
Die Anforderungen an die Organisation hängen dabei stark von der Auslegung, dem Grad der Automation sowie dem Einsatz von künstlicher Intelligenz ab sowie der Entwicklung der Technik in diesen Bereichen. Aus heutiger Sicht können somit keine belastbaren Aussagen über die Betriebsorganisation gemacht werden. ↩
Die für den Rückbau und den Verschluss erforderliche Organisation wird rechtzeitig vorbereitet und eingerichtet, so dass das mit der Anlage und der Anlagenhistorie vertraute und kompetente Betriebspersonal bei den diversen Rückbau- bzw. Verschlussarbeiten eine bedeutende Rolle einnehmen wird.
Für den sicheren Betrieb ist es von Bedeutung, dass Mensch, Organisation und Technik gemeinsam eine Einheit bilden, um die Aufgaben und Funktionen sicherheitsgerichtet erfüllen zu können. Der Betreiber räumt den menschlichen und organisatorischen Faktoren in allen Phasen des Projekts den erforderlichen Stellenwert ein. Dies beinhaltet in der Projektierungsphase die Berücksichtigung der menschlichen und organisatorischen Faktoren in Form eines für das gTL angemessenen Human and Organisational Factors Engineerings (HOF-Engineering)47. Die Nagra nimmt somit von Beginn an eine dem Projekt angemessene, soziotechnische HOF-Sichtweise ein und übernimmt die Verantwortung zur langfristigen Etablierung einer stabilen Sicherheitskultur in ihrer Unternehmung. Eine solche vorausschauende Projektierung hinsichtlich der relevanten Einrichtungen und Arbeitsvorgänge lässt sich in Anlehnung an die bewährte Projekt-/Betriebserfahrung von vergleichbaren Anlagen (bspw. Zwilag oder gTL-Projekte im Ausland) gezielt ableiten.
Eine besondere Aufmerksamkeit wird der Rolle des künftigen Betriebs- und Instandhaltungspersonals zu widmen sein, im Hinblick auf die in der weiteren Zukunft noch zu wählenden Technologien der Anlage. Die beim Betrieb zur Verfügung stehenden (etablierten) Technologien und die dabei stets fortschreitende IT und Automatisierung (eventuell auch das Potenzial der künstlichen Intelligenz) sind heute weder abschliessend bekannt noch hinsichtlich ihrer Konsequenzen auf die Organisation und das Personal sowie HOF bewertbar. Es muss davon ausgegangen werden, dass diese einen bedeutenden und neuen Einfluss auf das Arbeitsverhalten und auf HOF des künftigen Personals für Betrieb und Instandhaltung ausüben.
Der Begriff Human and Organisational Factors (HOF) steht mit menschlichen und organisatorischen Aspekten in Zusammenhang und bezieht sich auf alle Gesichtspunkte von Arbeitssituationen, auf die eingewirkt werden kann, um die Schnittstellen zwischen Mensch und den zu erstellenden Systemen bzw. Maschinen optimal zu gestalten. Als Beispiel sei (i) die Arbeitsplatzgestaltung, d.h. die Schaffung eines ergonomischen Arbeitsumfelds, dass die Effizienz und Sicherheit von Betrieb, Prüfung, Tests sowie der Instandhaltung fördert, sowie (ii) ein Feedback-System, d.h. die Einführung von Feedback-Mechanismen, die es den Mitarbeitenden ermöglicht, ihre Erfahrungen und Beobachtungen zu teilen, um Verbesserungen und Optimierungen vorzunehmen, genannt. ↩
Innerhalb des RBG geht es der Nagra primär darum aufzuzeigen, dass der Bau und sichere Betrieb eines gTL mit einer entsprechenden Organisation und dem erforderlichen Personalstamm realisiert werden kann. Der Aufbau einer adäquaten Projektierungsorganisation stellt dabei einen ersten Schritt dar, an dem spätere Bau- und Betriebsorganisationen anknüpfen und darauf aufbauen können. Die für ein gTL erforderlichen Organisationstruktur und -einheiten, deren Zusammenarbeit und einer über alle Ebenen gelebten Sicherheitskultur sind bereits heute in vergleichbaren Anlagen (Kernanlagen sowie Untertaganlagen wie z. B. Tunnel und Bergwerke) seit Jahrzenten etabliert und können in Anlehnung an diese auch für ein gTL umgesetzt werden. HOF-Aspekte werden dabei frühzeitig im Projekt adressiert und adäquat berücksichtigt. Das Ziel ist dabei die frühzeitige Sicherstellung der Qualität sowie der Optimierung und Fehlervermeidung bei der Durchführung der multidisziplinären Projektarbeiten.