Dieses Kapitel beschreibt die Grundlagen der geologischen Tiefenlagerung mit dem Ablauf der Beobachtung (überwachungstechnische Schritte) und der Möglichkeit einer Rückholung ohne grossen Aufwand bis zum allfälligen Verschluss. Darauffolgend werden die gesetzlichen Vorgaben und Richtlinien im Kontext zur Rückholung erläutert. Zudem werden die wichtigsten planerischen Schritte einer Rückholung gezeigt.
In der Schweiz ist die geologische Tiefenlagerung als Entsorgungskonzept für alle radioaktiven Abfälle im Kernenergiegesetz seit 2003 vorgegeben (Art. 3 & 31 KEG 2003). Als Grundlage für diese gesetzliche Vorgabe legte im Jahr 2000 die vom Eidgenössisches Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) eingesetzte Arbeitsgruppe EKRA (Expertengruppe Entsorgungskonzepte für radioaktive Abfälle) ihren Schlussbericht vor (EKRA 2000). Die Arbeitsgruppe hatte die Aufgabe, alle möglichen Entsorgungskonzepte zu evaluieren. Sie kam zu dem Schluss, dass nur die geologische Endlagerung die nötige Langzeitsicherheit gewährleisten kann. Gleichzeitig hat die EKRA ein Konzept präsentiert, welches die gesellschaftlichen Anliegen an Kontrolle und Rückholbarkeit der Abfälle aufnimmt. Das heutige Lagerkonzept der Nagra nimmt die Anregungen der EKRA auf.
Das Konzept des Tiefenlagers sieht vor, dieses in Etappen zu verschliessen (Nagra 2021e) und in diesem Zeitraum mittels eines integralen Überwachungsprogramms zu beobachten (Nagra 2021c). Dabei ist die Verfüllung so vorzunehmen, dass die Langzeitsicherheit gewährleistet und eine Rückholung der Abfälle ohne grossen Aufwand möglich ist (Art. 67 Abs. 2 KEV 2004).
Die geologische Tiefenlagerung folgt dem Primat der Sicherheit, das vorsieht, so schnell wie möglich passive Sicherheit herzustellen. Diesem Ziel wird bereits während der Betriebsphase Sorge getragen, in dem die Lagerkammern sukzessive mit der Einlagerung der Abfälle verfüllt und mit Versiegelungen verschlossen werden (Nagra 2021e). Mit dem Abschluss der Einlagerung der SMA-Abfälle und der HAA-Abfälle beginnen die Beobachtungsphase und der Verschluss in Etappen (siehe auch Anlage B). Schon vor Beginn der Beobachtungsphase beginnt die Überwachung des Pilotlagers, um schon früh Informationen zum Verhalten des Mehrfachbarrierensystems zu gewinnen (Nagra 2021c). Im Rahmen des Pilotlager-Konzepts wurde auch skizziert, wie es, auf der Basis des Monitorings, zur Entscheidung für eine Rückholung kommen könnte (Fig. 8.1 in Nagra 2021c). Weiterhin wird eine Überwachung der Umwelt und des geologischen Umfelds von der Oberfläche (Fanger et al. 2021), der noch offenen Untertagbauten und Zugänge (Nagra 2021b) sowie der Betriebssicherheit durchgeführt. Alle Überwachungs- und Beobachtungsdaten zusammen liefern Input für periodische Aktualisierungen des Sicherheitsnachweises und für die Vertrauensbildung im Hinblick auf die Entscheidung zum Verschluss des Tiefenlagers. Gemäss aktueller Planung wird von einer Beobachtungsphase von 50 Jahren nach Abschluss des HAA-Einlagerungsbetriebs ausgegangen (Art. 3 SEFV).
Nach Ablauf der Beobachtungsphase ordnet der Bundesrat den Verschluss des Gesamtlagers an, sofern der dauernde Schutz von Mensch und Umwelt gewährleistet ist (Art. 39 Abs. 2 KEG 2003). Bis zum Zeitpunkt des allfälligen Verschlusses muss eine Rückholung ohne grossen Aufwand (Art. 37. Abs. 1 Bst. b KEG 2003) möglich sein.
Stufengerecht werden bei der Realisierung des geologischen Tiefenlagers wiederholt umfangreiche Analysen durchgeführt und detaillierte Nachweise erbracht, um methodisch-wissenschaftlich zu bestätigen, dass mit der geologischen Tiefenlagerung der Schutz von Mensch und Umwelt sichergestellt ist (Art. 13 Abs. 1 KEG 2003). Die Rückholung ist nicht fester Bestandteil des planmässigen Ablaufs, sondern eine gesetzliche Vorgabe, welche die Handlungsoption offenhält, die eingelagerten und versiegelten Abfälle zu bergen und an die Oberfläche zurückzubringen. Dem Rückholungskonzept liegt zugrunde, dass die Rückholung nur zwingend stattfinden muss («Ultima Ratio»), wenn der Sicherheitsnachweis nicht mehr erbracht werden kann und eine wirksame Instandsetzung der Sicherheitsbarrieren nicht mehr möglich ist (Kap. 7.4.1 Bst. b ENSI 2020b).
Das Schweizerische Kernenergiegesetz (Art. 37 Abs. 1 Bst. b KEG 2003) gibt vor, dass für das geologische Tiefenlager die Betriebsbewilligung [nur] erteilt wird, wenn […] die Rückholung der radioaktiven Abfälle bis zu einem allfälligen Verschluss (Gesamtverschluss) ohne grossen Aufwand möglich ist.
Dabei ist gemäss Schweizerischer Kernenergieverordnung (Art. 11 Abs. 2 Bst. c KEV 2004) ein geologisches Tiefenlager so auszulegen, dass Vorkehrungen […] zur Rückholung der Abfälle die passiven Sicherheitsbarrieren nach dem Verschluss des Lagers nicht beeinträchtigen (Art. 11, Abs. 2 Bst. cKEV 2004).
Ferner verlangt die KEV (Art. 65 Abs. 2 Bst. C. KEV 2004), vor Inbetriebnahme des Tiefenlagers die sicherheitsrelevanten Techniken zu erproben und deren Funktionstüchtigkeit nachzuweisen. Dies betrifft insbesondere […] das Entfernen des Verfüllmaterials zwecks allfälliger Rückholung von Abfallgebinden und die Technik zur Rückholung von Abfallgebinden.
Die KEV (Art. 67 Abs. 1 KEV 2004) fordert weiter, dass der Eigentümer eines geologischen Tiefenlagers nach Einlagerung der Abfallgebinde die Lagerkavernen und -stollen zu verfüllen hat und die Verfüllung so vorzunehmen hat, dass die Langzeitsicherheit gewährleistet und eine Rückholung der Abfälle bis zum Gesamtverschluss ohne grossen Aufwand möglich ist (Art. 67 Abs. 2 KEV 2004) .
Die Richtlinie ENSI-G03 (ENSI 2020b) definiert Rückholung wie folgt: Die Rückholung umfasst die Bergung und den Transport von eingelagerten radioaktiven Abfällen aus dem geologischen Tiefenlager zurück an die Oberfläche (siehe (Anhang 1 ENSI 2020b)).
Zudem stellt (Kap. 7.4.1 ENSI 2020b) bezüglich Rückholung folgende generelle Vorgaben:
Ein geologisches Tiefenlager einschliesslich der Tiefenlagerbehälter ist so auszulegen, dass eine Rückholung der radioaktiven Abfälle bis zum Verschluss ohne grossen Aufwand möglich ist.
Eine Rückholung oder Teilrückholung der Abfälle ist vorzunehmen, falls während der Betriebsphase der Sicherheitsnachweis nicht mehr erbracht werden kann und eine wirksame Instandsetzung der Sicherheitsbarrieren nicht mehr möglich ist.
Eine ausführlichere Zusammenstellung relevanter Gesetze und regulatorischer Grundlagen befindet sich in Anlage A.
Ein Entscheid für eine Rückholung wird auf einer sorgfältigen Abwägung beruhen. Das vorgesehene Lagerkonzept stellt mit höchstmöglicher Sicherheit sicher, dass für eine gründliche Abklärung der Notwendigkeit der Rückholung und ihrer Umsetzung die notwendige Zeit zur Verfügung steht, weil davon ausgegangen werden kann, dass keine dringliche Situation vorliegt. Die Abfälle sind nach wie vor im bestehenden redundanten Mehrfachbarrierensystem (siehe Nagra 2021a) eingeschlossen, so dass eine unzulässige Freisetzung von Radionukliden an die Umwelt über einen langen Zeitraum vernachlässigt werden kann.
Im Sinne einer schrittweisen Planung sind, gemäss den gesetzlichen bzw. behördlichen Vorgaben bezüglich Rückholung, folgende Konkretisierungsschritte vorgesehen:
Für das Rahmenbewilligungsgesuch ist gemäss ENSI (Kap 7.4.2 Bst. a ENSI 2020b) ein Konzept zur Rückholung zu erarbeiten.
Im Rahmen des Baugesuchs wird das Rückholungskonzept weiter konkretisiert, so dass die erforderlichen baulichen Massnahmen umgesetzt werden können.
Vor Inbetriebnahme, das heisst in Hinblick auf die Erteilung der Betriebsbewilligung, ist gemäss Art. 65 KEV 2004 die Funktionstüchtigkeit der Entfernung des Verfüllmaterials und die Technik zur Rückholung nachzuweisen.
Falls es in der Betriebs- oder Beobachtungsphase Hinweise gibt, dass eine Rückholung erforderlich sein könnte, wird eine detaillierte Planung erfolgen. Diese besteht aus einer Bestandsaufnahme aller Elemente des Lagers, die in Zusammenhang mit einer Rückholung relevant sind, und einer Bewertung im Hinblick auf den Sicherheitsnachweis. Falls die Bewertung zum Entscheid zur Rückholung führt, werden anschliessend alle Schritte der Rückholung geplant. Dazu kann für die Entfernung des Verfüllmaterials und die Rückholung der Endlagerbehälter auf die Erkenntnisse der entsprechenden Demonstrationsversuche abgestützt werden. Falls es hinsichtlich der Versuche geänderte Randbedingungen gibt, sind entsprechende Anpassungen bei den Abläufen oder den Geräten vorzunehmen. Für die Förderung der Endlagerbehälter an die Oberfläche kann grundsätzlich auf die für die Einlagerung verwendeten Techniken zurückgegriffen werden. Neben der Funktionalität der Rückholung, sind auch alle anderen schon für die Einlagerung relevanten Aspekte für die Rückholung zu prüfen bzw. zu gewährleisten (z. B. Strahlenschutz, nukleare Betriebssicherheit, Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz). Vor der Rückholung ist auch eine Bewilligung in einem dann bestehenden geeigneten Regelwerk, z. B. nach ENSI A04 (HSK 2016) «Änderung einer kerntechnischen Anlage», zu erlangen. Die Rückholung findet somit in einem geordneten Verfahren mit zugehörigen Prüfungen und Genehmigungen statt und wird entsprechend mehrere Jahre in Anspruch nehmen.