Das Rückholungskonzept betrachtet den Zeitpunkt des Abschlusses der Beobachtungphase unmittelbar vor Verschluss des Gesamtlagers (vgl. auch Anlage B). Dies ist der späteste zu betrachtende Zeitpunkt4 mit einer abdeckenden Planung, da die Entwicklung der relevanten Elemente (z. B. Tragwerke) am weitesten fortgeschritten sind und die meisten Versiegelungen und Verfüllungen entfernt werden müssen, um die Abfälle rückzuholen. Anlage B zeigt den zeitlichen Ablauf des Verschlusses in allen Phasen (Einlagerung bis Verschluss Gesamtlager). Fig. 4‑1 zeigt den Zustand des Tiefenlagers unmittelbar vor dem Verschluss des Gesamtlagers. Alle Lagerkammern (Lagerstollen- und Lagerkavernenverfüllung), die Lagerfeldzugänge (VF1) und der Zugangsschacht sind vollständig verfüllt und versiegelt. Offen sind noch der Betriebs- und Lüftungsschacht, die Beobachtungsstollen der Pilotlager sowie Teile des zentralen Bereichs.
Die Rückholung ist auch nach dem Verschluss des Gesamtlagers möglich. Das Tiefenlager wird dann verschlossen, die Zugänge vollständig bis zur Geländeoberkante verfüllt und versiegelt sowie die Infrastruktur vollständig rückgebaut. Nach dem Erreichen dieses Zustandes wird die Rückholung international oft als «Bergung» bzw. «Recovery» bezeichnet und ist unter Verwendung etablierter und erprobter Techniken aus dem Untertage- und Bergbau ebenfalls umsetzbar, mit entsprechend grösserem Aufwand.
Fig. 4‑1:Zustand des Kombilagers zum Zeitpunkt vor dem Verschluss des Gesamtlagers
Die Rückholung ohne grossen Aufwand ist bis zum Verschluss zu zeigen. ↩
Die allfällige Rückholung erfolgt, wie die Einlagerung, auf der Basis eines entsprechenden Strahlenschutzkonzepts. Dazu gehört insbesondere die Einrichtung eines Überwachungsbereichs. Das Strahlenschutzkonzept der Rückholung wird, wie bei der Einlagerung, durch die zuständige Behörde geprüft und freigeben.
Strahlenschutztechnische Bedingungen bei der HAA-Rückholung
Bei der HAA-Rückholung ist heute von den gleichen Anforderungen an die Strahlenschutzkonzepte auszugehen wie in der Betriebsphase für die HAA-Einlagerung.
Eine Aktivierung des Bentonits im Nahfeld der HAA-ELB ist für die Rückholung vernachlässigbar, da die Neutronendosisleistung ausserhalb des ELB zu gering ist.
Eine potenzielle Kontamination des Nahfelds der HAA-ELB ist ebenfalls vernachlässigbar, da die Dichtigkeit der HAA-ELB vor der Einlagerung geprüft wurde und im betrachteten Zeitraum bis zur Rückholung auch bei unerkannten Mängeln kein Materialversagen zu erwarten ist. Zudem werden die Handhabungsprozesse und -vorgänge so gestaltet, dass die Integrität der Behälter erhalten bleibt (Belastungen bei Abweichungen und Störfällen sind begrenzt).
Analog zum Einlagerungsprozess muss die Rückholung der HAA-ELB aufgrund der Strahlenexposition im Lagerstollen ferngesteuert erfolgen. Für den Fall von Abweichungen und Störungen sind organisatorische und technische Massnahmen vorzusehen, so dass eine ferngesteuerte und damit strahlenschutztechnische Bewältigung umsetzbar ist. Der HAA-ELB muss nach der Rückholung aus dem Lagerstollen ferngesteuert in einen Transportbehälter (Abschirmung der Direktstrahlung) verpackt werden, bevor er den Schleusenbereich für den Transport zur Oberfläche verlassen darf (Kapitel 5.2). Aus Gründen des Strahlenschutzes werden analog zur Einlagerung nur einzelne HAA-ELB rückgeholt, in Transportbehälter verpackt und an die Oberfläche transportiert.
Strahlenschutztechnische Bedingungen bei der SMA-Rückholung
Auch bei den SMA-Kavernen ist davon auszugehen, dass dieselben Anforderungen an den Strahlenschutz erfüllt werden müssen wie bei der Einlagerung.
Die Integrität der SMA-ELB ist zum betrachteten Zeitpunkt ebenfalls noch vorhanden. Aufgrund des schwach- und mittelaktiven Inventars ist ein Personaleinsatz möglich. Der generelle Aufenthalt und die Aufenthaltsdauer von Personal in den SMA-Lagerkavernen werden von der vorliegenden Ortsdosisleistung bestimmt, so dass die Dosisgrenzwerte der strahlenexponierten Personen gemäss Strahlenschutzverordnung (Art 56. Kap. 5 StSV 2017) zu keiner Zeit überschritten werden und die Sicherheit des Personal gewährleistet ist. Für die SMA-Rückholung werden für den Bedarfsfall (z. B. für mittelaktives Inventar oder für den Störfall einer Schädigung / Verlust der Behälterintegrität) entsprechende Transportbehälter vorgehalten. Es werden jeweils nur einzelne SMA-ELB rückgeholt und ggf. in Transportbehälter verpackt, bevor diese die physische Trennung (z. B.: Tor oder Schleuse) des Überwachungsbereichs verlassen zum Transport an die Oberfläche.
In diesem Kapitel wird beschrieben, welche Zustände der für die Rückholung relevanten Elemente zum betrachteten Zeitpunkt der Rückholung angenommen werden. Diese Planungsannahmen beruhen auf den umfangreichen Arbeiten der Nagra zur Entwicklung des Nahfelds der Abfälle (Phänomenologie) über die Zeit (vgl. Nagra 2021d). Da der Zeitpunkt der Rückholung unmittelbar vor dem Verschluss des Gesamtlagers (siehe Kapitel 4.1) gewählt wurde, sind diese Zustände konservative Annahmen für alle früheren Zeitpunkte im Sinne einer abdeckenden Planung. Die Reduktion der Dosisleistung aufgrund des radioaktiven Zerfalls wird für den betrachteten (kurzen) Zeitraum vernachlässigt. Tab. 4‑1 fasst die Planungsannahmen der Zustände zusammen.
Tab. 4‑1:Planungsannahmen zum Lagerzustand relevanter Elemente
Element im Lager |
Lagerteil |
Planungsannahme Zustand inkl. Erläuterungen |
---|---|---|
Endlagerbehälter (ELB) |
HAA |
Mechanischer Zustand Die HAA-ELB sind zum Rückholungszeitpunkt intakt und transportfähig. Annahme zur Lage der Behälter Die HAA-ELB wurden bei der Einlagerung auf die vorgefertigten Bentonit-Auflager platziert. Geringe Abweichungen (max. 20 cm) von der Ursprungsposition sind zu berücksichtigen. Temperatur Aufgrund ihrer Wärmeleistung von 1’500 W kann die Oberflächentemperatur der HAA-ELB bis zu 140 °C betragen. An der Stollenwand erreicht die Temperatur bis zu 90 °C. Gasbildung Keine relevante Gasbildung zu erwarten. |
SMA |
Mechanischer Zustand Die SMA-ELB sind zum Rückholzeitpunkt intakt und transportfähig. Ein Heben über die ISO-Ecken der einzelnen Behälter, wie bei der Einlagerung, wird nicht vorausgesetzt. Annahme zur Lage der Behälter Die Position der SMA-Behälter kann von der Lage bei der Einbringung um wenige Zentimeter (< 5 cm) abweichen. Annahme zur Anhaftung von Mörtel an SMA-ELB Der Mörtel haftet nicht an horizontalen Flächen zwischen gestapelten SMA-ELB. Dies ist durch geeignete Massnahmen bei der Einlagerung sicherzustellen. Temperatur Es wird keine relevante Temperaturerhöhung aufgrund einer Wärmeleistung der Abfälle erwartet. Gasbildung Keine relevante Gasbildung in diesem Zeitraum zu erwarten. |
|
Nahfeldverfüllung Verfestigungsgrad und Anhaftungen an ELB |
HAA- Lagerstollen |
Das Verfüllmaterial (Bentonit) wird zum Rückholungszeitpunkt eine gewisse Menge Wasser aufgenommen haben. Der Sättigungsgrad kann dabei entlang der Lagerstollen lokal variieren. Je nach Sättigungsgrad kann das Verfüllmaterial somit als Lockermaterial oder mit unterschiedlichen Verfestigungsgraden vorliegen. Bei vollem Sättigungsgrad erreicht der Bentonit nur geringe Festigkeiten. Durch teilgequollenen Bentonit ist mit leichten adhäsiven Anhaftungen des Bentonits auf den HAA-ELB zu rechnen. Diese lassen sich z. B. beim Umladen durch eine Reinigung entfernen. Eine relevante Erschwernis des Lösens der Behälter aus dem Bentonit wird dadurch nicht erwartet. |
SMA- Lagerkavernen |
Die Lagerkavernenverfüllung ist vollständig ausgehärtet. Der Porenraum des Mörtels wird im betrachteten Zeitraum noch luftgefüllt sein (Porosität von mindestens 20 %). Die Zementleimmenge des Mörtels ist so bemessen, dass gerade eine Verkittung der Zuschläge des M1-Mörtels stattfindet, ohne dass die Haufwerks-Poren des Korngemischs sich verfüllen (Jacobs et al. 1994). Daher haftet der Mörtel auch schlecht5 an den SMA-ELB aus glattem Beton. |
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Verfüllung Verfestigungsgrad |
HAA-/SMA-Lagerfeldzugänge (VF1) |
Die Verfüllung der Lagerfeldzugänge liegt überwiegend als Lockermaterial vor. Punktuell kann es zu leichten Verfestigungen gekommen sein. |
Versiegelungen Verfestigungsgrad |
HAA-/SMA-Versiegelung Lagerkammer (V1) |
Die Widerlager sind vollständig ausgehärtet und das Dichtelement aus Bentonit-Baustoff liegt je nach Sättigungsgrad als Lockermaterial oder teilweise gequollen bzw. verfestigt vor. |
HAA-/SMA-Versiegelung Lagerfeldzugänge (V2) |
Die Widerlager sind vollständig ausgehärtet und das Dichtelement aus Bentonit-Baustoff liegt je nach Sättigungsgrad als Lockermaterial oder teilweise gequollen bzw. verfestigt vor. Es ist davon auszugehen, dass die Aufsättigung der Dichtelemente der Lagerfeldzugänge aufgrund ihrer späteren Errichtung geringer ist als die der Lagerkammerversiegelungen. |
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Tragwerkszustand |
HAA-Lagerstollen |
Es wird davon ausgegangen, dass der Ausbau des HAA-Lagerstollens intakt ist (Sicherheitsfaktor > 1). Nachsicherungen sind aus Gründen der Arbeits- und Betriebssicherheit vorzusehen. |
SMA-Lagerkavernen |
Es wird davon ausgegangen, dass der Ausbau der SMA-Kavernen noch intakt ist. Aufgrund des Auftretens einer mechanischen Einwirkung auf das Tragwerk beim Entfernen des Mörtels, kann dies zu Beschädigungen des Ausbaus führen. Instandsetzungen sind daher aus Gründen der Arbeits- und Betriebssicherheit systematisch vorzusehen. |
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Tragwerkszustand |
HAA-/SMA-Zugangsbauwerke (Schächte) Offene untertägige Bauten |
Der Zugangsschacht wurde zeitgleich mit dem Verschlusses der Lagerfeldzugänge verfüllt und versiegelt. Das Schachtbauwerk, welches zur Einlagerung der ELB genutzt wurde, steht somit zum betrachteten Zeitpunkt für die Rückholung nicht mehr zur Verfügung. Der Betriebsschacht, der Lüftungsschacht sowie einzelne Bauten des zentralen Bereichs sind zum Rückholungszeitpunkt noch verfügbar (Fig. 4‑1). Der regelmässige Unterhalt der noch offenen Infrastrukturen und Anlagen, welche für die Beobachtungsphase genutzt wurden, gewährleistet die Tragfähigkeit und Gebrauchstauglichkeit. |
Tragwerkszustand |
HAA-/SMA-Lagerfeldzugänge (verfüllt) |
Der Ausbau der verfüllten Lagerfeldzugänge ist intakt. Während des Wiederauffahrens für die Rückholung (Kapitel 5.1) sind Sicherungs- und Instandsetzungsarbeiten erforderlich, um die Arbeits- und Betriebssicherheit für die Rückholung zu gewährleisten. |
Auflager der Kranbahnen in Lagerkavernen |
SMA |
Es wird davon ausgegangen, dass die Auflager der Kranbahnen instandgesetzt und für die Rückholung genutzt werden können. |
Versiegelungs-strecke |
HAA/SMA Im Bereich der Dichtelemente |
Aufgrund der während des Einbaus der Versiegelungen geraubten Gebirgsstützung in den Bereichen der Dichtelemente ist mit Konvergenzen zu rechnen. Das erforderliche Lichtraumprofil muss wieder hergestellt werden und ein flächenhafter Ausbau muss aus Gründen der Arbeits- und Betriebssicherheit hergestellt werden. |
Insbesondere in vertikalen Spalten. An horizontalen Spalten haftet dieser aufgrund des Eigengewichts (Pressung) besser. ↩