In diesem Kapitel sind das in ENSI (2023a) geforderte sog. Aufzeigen der Wirkungsweise, des Rückhaltevermögens und der Robustheit der technischen und geologischen Barrieren dokumentiert. Ausserdem sind die Auswirkungen gekoppelter Prozesse und der Gasbildung auf die technischen und geologischen Barrieren sowie auf den Radionuklidtransport dargelegt und bewertet. Aufgrund der detaillierten Kenntnisse über die geologischen und technischen Barrieren sowie über die langfristigen Prozesse sind die Funktionsfähigkeit des Gesamtsystems und der einzelnen Barrieren mittels modellunterstützter Analysen analysiert und die langfristige Wirksamkeit des Mehrfachbarrierensystems bestätigt. Ein Vergleich und eine Überprüfung der Ergebnisse mit den aktuellen Anforderungen an das gTL (Nagra 2024ab) zeigt, dass der Standort mit der exemplarischen Auslegung des gTL die Anforderungen zum langfristigen Erhalt der Barriereeigenschaften mit grossen Reserven erfüllt.
Die Prüfung der Barrierewirksamkeit ist der erste Schritt des Sicherheitsnachweises. Mit den numerischen Modellen für den Standort sind neben dem Referenzfall auch die Bandbreite der Ungewissheiten systematisch analysiert. Mit den Modellierungen sind mögliche Abweichungen bei der Funktionsfähigkeit, die als Input für die Entwicklung der Sicherheitsszenarien dienen, sowie Phasen maximaler Beanspruchung des gTL-Systems identifiziert, die die Integrität der Barrieren beeinträchtigen könnten. Diese Prüfszenarien sind mit zusätzlichen Robustheits- und Konsequenzenanalysen gezielter untersucht, um die Sicherheitsmargen zu überprüfen.
Im Folgenden sind ausgewählte Beispiele erläutert. Der Nachweis der Barrierewirksamkeit für das gTL am Standort findet sich in Nagra (2024ac). Die bei der Prüfung der Barrierewirksamkeit verwendeten Modelle sind in Nagra (2024s) ausführlich beschrieben.
Wechselwirkungen zwischen SMA- und HAA-Lager
Bei der Anordnung der HAA- und SMA-Lagerteile ist gemäss ENSI (2018a) darauf zu achten, dass mögliche thermische, mechanische, hydraulische und gasbedingte sowie chemische Wechselwirkungen zwischen den beiden Lagerteilen keine sicherheitsrelevante Beeinträchtigung des Mehrfachbarrierensystems darstellen. Dazu wurden die Wechselwirkungen zwischen den beiden Lagerteilen untersucht. Sowohl die Ergebnisse einer Sensitivitätsanalyse mit unterschiedlichen Abständen (Nagra 2021b) als auch die Ergebnisse für die exemplarische Lagerauslegung am Standort (Kap. 4.2 in Nagra (2024ac)) zeigen, dass die Lagerteile für HAA und für SMA so angelegt werden können, dass sie sich nicht gegenseitig negativ beeinflussen.
Die definitive Anordnung der HAA- und SMA-Lagerteile erfolgt im Rahmen der weiteren Bewilligungsschritte nach KEG.
Mindestabstand von tektonischen Störungen
Der Fokus der Systemanalysen beim Sicherheitsnachweis für die Nachverschlussphase liegt auf potenziellen Freisetzungspfaden von Radionukliden aus dem gTL. Dazu werden mit Transportmodellierungen Freisetzungen für verschiedene Situationen berechnet. Als konservative Massnahme werden die Analysen mit nicht sorbierenden Stoffen durchgeführt. Dadurch wird ermittelt, welche Anteile des Stoffes über die verschiedenen Transportpfade freigesetzt werden könnten. Bei den Stofftransportrechnungen werden zur Berücksichtigung aller Ungewissheiten unterschiedliche Annahmen und Parameter berücksichtigt.
Ein Untersuchungsaspekt bei den Transportmodellierungen betrifft den Einfluss von tektonischen Störungen auf den Transport von Radionukliden. Obwohl die Resultate der Tiefbohrungen zeigen, dass gestörter Opalinuston keine erhöhte hydraulische Durchlässigkeit aufweist, wird der Einfluss von Störungen konservativ mit erhöhten hydraulischen Durchlässigkeiten untersucht. Für die Modellanalysen zur Prüfung der Barrierewirksamkeit wird angenommen, dass sich in 200 m Abstand des HAA-Lagerfeldes bzw. des äussersten Lagerstollens eine steilstehende Störung mit erhöhter hydraulischer Durchlässigkeit befindet (Kap. 6.3.6 in Nagra (2024ac) und Kap. 4.2 in Nagra (2024ad)). Die Ergebnisse zeigen, dass die Freisetzung dabei hauptsächlich über das intakte Gestein erfolgt und eine solche fiktive Störung, selbst unter der Annahme von unrealistisch hohen Transportbedingungen, keinen relevanten Freisetzungspfad darstellt.
Beim Vorschlag für die räumliche Ausdehnung des vorläufigen Schutzbereichs (Kap. 5.1.1) wird deshalb ein Abstandsbereich von 200 m zwischen der potenziellen Lagerzone und regionalen tektonischen Elementen benutzt. Dadurch wird gewährleistet, dass bei der zukünftigen Platzierung der Lagerteile ausreichend Abstand zu regionalen tektonischen Elementen eingehalten werden kann. Somit ist die Langzeitsicherheit auch bei ungünstigen geologischen Entwicklungen gewährleistet.
Erhalt der Gebirgsintegrität
Bei den Modellierungen der wärmeinduzierten Prozesse wird für alle HAA-Endlagerbehälter modellhaft angenommen, dass sie eine maximale Wärmeleistung aufweisen, wobei dies eine konservative Annahme ist, da der Grossteil der HAA-Endlagerbehälter tiefere Wärmeleistungen aufweisen wird. Aufgrund der bekannten und mit Laborexperimenten oder grossmassstäblichen Experimenten in Felslabors bestimmten Wärmeleitfähigkeit der Systemkomponenten und verifizierten Modellierungswerkzeugen lassen sich die Temperatureffekte und die damit gekoppelte Veränderung der Porenwasserdruck- und Gebirgsverhältnisse berechnen. Die Ergebnisse in Kap. 4.3 und 6.2.4 von Nagra (2024ac) zeigen, dass mit der exemplarischen Auslegung des gTL die vorübergehend erhöhten Temperaturen und Porenwasserdrücke keine langfristigen Auswirkungen auf die Sicherheitsfunktionen des Mehrfachbarrierensystems haben.
Neben den wärmeinduzierten Prozessen werden auch gasinduzierte Effekte untersucht, die zu Veränderungen des Porenwasserdrucks und der Gebirgsspannungen im umgebenden Wirtgestein führen könnten. Die Ergebnisse der Prüfung der Barrierenwirksamkeit zeigen, dass die Gasproduktion weder die Sicherheitsfunktionen des Wirtgesteins noch der technischen Barrieren in der Nachverschlussphase beeinträchtigt (Kap. 4.4 in Nagra 2024ac). In allen untersuchten Fällen besteht eine Sicherheitsmarge, z. B. in Bezug auf die Gebirgsspannungen, weshalb keine Reaktivierung existierender Störungen oder Bildung neuer Störungen stattfindet. Selbst unter pessimistischsten Annahmen werden die Sicherheitsfunktionen für die Nachverschlussphase nicht beeinträchtigt. Des Weiteren demonstrieren die Analysen, dass die gasbedingten Überdrücke in den HAA-Lagerstollen und in den SMA-Lagerkavernen durch verschiedene Prozesse begrenzt bleiben:
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Durch Gasspeicherung in den technischen Barrieren und in der Auflockerungszone.
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Aufgrund der Gasmigration durch die Versiegelungen der Lagerteile in die verfüllten Lagerfeldzugänge und die verfüllten Bauwerke im zentralen Bereich, welche ein erhebliches Gasspeichervermögen aufweisen.
Ferner zeigt sich, dass die Versiegelungen der Zugangsbauwerke aufsättigen und abdichten bevor das von den Abfällen generierte Gas diese Versiegelungen erreicht (Kap. 4.4.5 in Nagra 2024ac).
Barrierewirksamkeit des EG
Für die Barrierenwirksamkeit des EG ist ein modellgestützter Nachweis erbracht, der auf Labor- und Felslaborexperimenten, Daten aus Tiefbohrungen und verifizierten Modellen basiert. Dieser bestätigt, dass der Radionuklidtransport im Opalinuston diffusionsdominiert ist und der Opalinuston die primäre Transportbarriere des geologischen Barrierensystems darstellt. Des Weiteren zeigen die Resultate, dass auch die oberen und unteren Rahmengesteine eine zusätzliche Transportbarriere darstellen (Kap. 6.1.2 in Nagra (2024v) und (Kap. 6.3.6 in Nagra 2024ac)).
Auch der Einfluss der Auflockerungszone auf die Barrierenwirksamkeit des Opalinustons ist untersucht (Tab. 3.3, Tab. 3.6 und Anhang B.2 in Nagra 2024ac). Es gibt zahlreiche Belege dafür, dass die Form, die Ausdehnung und die Eigenschaften der Auflockerungszone im Opalinuston um die Lagerkammern die Barrierenwirksamkeit des EG und der technischen Barrieren nicht beeinträchtigen. Die folgenden Punkte fassen die Hauptargumente aus Kap. 6.1.2 in Nagra (2024v) und Kap. 6.3.6 in Nagra (2024ac) zusammen:
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Die Wahl des Bauverfahrens und des Ausbaus begrenzen die Ausdehnung der Auflockerungszone.
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Aufgrund von Selbstabdichtung und sehr beschränktem Wasserzutritt stellt die Auflockerungszone keinen signifikanten axialen Transportweg für gelöste Radionuklide dar.
Obwohl es im Rahmen der Untersuchungen in den Tiefbohrungen selbst bei geringem Tonmineralgehalt keine Hinweise auf eine erhöhte hydraulische Durchlässigkeit der Rahmengesteine gibt (z. B. Fig. 4-138 Nagra 2024p), ist der Stofftransport bei der Prüfung der Barrierewirksamkeit der Rahmengesteine mit abdeckenden Parameterbandbreiten und ungünstige Annahmen untersucht. So sind z. B. hypothetische hochdurchlässige dünne Schichten in den Rahmengesteinen simuliert oder die «Herrenwis-Einheit»41 mit einer hypothetischen hohen Variabilität der hydraulischen Durchlässigkeit abgebildet. Die Modellrechnungen in Kap. 6.3.6 von Nagra (2024ac) zeigen, dass die Rahmengesteine selbst unter solchen hypothetischen und ungünstigen Annahmen keine advektiven Freisetzungspfade darstellen, sondern eine Transportbarriere bilden und damit zusätzlich zur Gewährleistung der Rückhaltung beitragen.
Die «Herrenwis-Einheit» besteht vor allem aus Korallenkalken mit mergeligen Zwischenlagen und ist im östlichen Bereich des Standortgebiets NL als eine Art grosse Linse zwischen den tonigen, geringdurchlässigen oberen Rahmengesteinen eingebettet. ↩