Art. 7.5 ENSI-G03 (ENSI 2020b) nennt neben dem ordnungsgemässen Verschluss (vgl. Abschnitt 2.1.1), der in diesen Bericht beschrieben wird, den temporären Verschluss (vgl. Abschnitt 2.1.2). Ein Konzept für den temporären Verschluss ist – wie im Abschnitt 2.1.2 beschrieben – erst mit dem Baugesuch einzureichen und mit dem Betriebsbewilligungsgesuch zu aktualisieren. Das hier vorgestellte Konzept für den ordnungsgemässen Verschluss enthält schon einige Aspekte eines temporären Verschlusses, auf die an dieser Stelle kurz eingegangen wird.
Beim ordnungsgemässen Verschluss stellen die teilweise redundant wirkenden Versiegelungsbauwerke (vgl. Kapitel 4) ein ausgeglichenes hohes Sicherheitsniveau her. Der Verschluss zielt im Interesse der Sicherheit dabei konsequent auf die gestaffelte und schnellstmögliche Herstellung eines passiv sicheren Zustands ab. Schon in der Einlagerungsphase werden die Lagerkammern fortlaufend verfüllt und unmittelbar nach Einlagerungsabschluss mit V1-Versiegelungen (vgl. Abschnitt 4.2.1 und 4.2.2) versiegelt. Die V1-Versiegelungen schützen einerseits die Nahfeldbarriere und verhindern den Zutritt Unbefugter zu den radioaktiven Abfällen (Proliferation), solange das geologische Tiefenlager nicht vollständig verschlossen ist. Andererseits erfüllen sie schon ihre Funktion als (temporären) Verschluss, indem sie den Radionuklidfluss aus den Lagerkammern in ausreichendem Masse begrenzen, falls die Fortsetzung des ordnungsgemässen Verschlusses des geologischen Tiefenlagers verzögert wird. Nach dem Setzen der V1-Versiegelung besteht also de facto ein temporärer Verschluss für den in der ENSI-G03 geforderten Zeitraum von einigen Jahrzehnten bis Jahrhunderte39.
Um eine Gefahrenprävention zu erreichen, ist der temporäre Verschluss, wie gezeigt, nur zum Zeitpunkt vor dem Setzen der V1-Versiegelungen – also während der Einlagerung der Abfälle – relevant. Daher ist der temporäre Verschluss an sich nur als Ersatz für ordnungsgemässe V1-Versiegelungen vorzusehen.
In HAA-Lagerstollen können, unabhängig vom Einlagerungsfortschritt des jeweiligen Stollens, V1-HAA-Versiegelungen unmittelbar platziert werden, da sie auch im ordnungsgemässen Verschluss als Abschluss noch innerhalb des Stollens vorgesehen werden. Für den temporären Verschluss muss lediglich, wie beim ordnungsgemässen Verschluss, hinsichtlich des Strahlenschutzes eine ausreichende «Pufferstrecke» zwischen den Endlagerbehältern und den tatsächlichen Entstehungsort der V1-Versiegelung mit dem Verfüllbaustoff der Lagerstollen errichtet werden.
Für den temporären Verschluss von SMA-Lagerkavernen ist das Vorgehen des HAA-Lagerteils nicht direkt übertragbar, da bei gegebener Kavernengrösse V1-Versiegelungen nicht innerhalb der Lagerkavernen realisierbar sind. Somit ist, wie beim ordnungsgemässen Vorgehen, auch beim temporären Verschluss der Einbau der V1-SMA-Versiegelungen nur vor der SMA-Lagerkaverne möglich. Um den nicht verfüllten SMA-Kavernenteil vor Konvergenzen zu schützen und somit die geologische Barriere nicht zu schädigen sowie die notwendige Gasdurchlässigkeit bis zur V1-SMA-Versiegelung aufrechtzuerhalten, muss der noch offene Teil der Kaverne verfüllt werden. Dazu kann der ordnungsgemässe Verfüllbaustoff der Lagerkavernen (M1-Mörtel) verwendet werden oder alternativ z. B. ein Kalksteinschotter40, der das Einbringen der grossen Verfüllvolumina erleichtert und beschleunigt. Mit der Resthohlraumverüllung der Lagerkavernen wird auch für die Bereitstellung einer Gasspeicherkapazität – wenn auch gegebenenfalls nur für einen beschränkten Zeitraum41 – Sorge getragen.
Ein weiterer zu berücksichtigender Aspekt für den temporären Verschluss wäre die Vorhaltung von genügend benötigten Materialen in unmittelbarer Nähe des Tiefenlagers, um allfällig ausfallende Lieferketten zu überbrücken. Dazu gehören u.a. Materialen für die Herstellung der Komponenten der V1-Versiegelungen (Dichtelement, Widerlager, Übergangsschichten). Weiterhin wären ausreichend geschultes Personal für den Bau der Versiegelungen, die für die Herstellung der temporären Versiegelung benötigten Gerätschaften – gewartet und einsatzbereit –, sowie eine funktionierende Werkstatt mit genügend Ersatzmaterialen vorzuhalten.
Der ordnungsgemässe Verschluss bezeichnet gemäss ENSI-G03 (ENSI 2020b) einen Zustand, in welchem keine weiteren Massnahmen zur Gewährleistung der Langzeitsicherheit erforderlich sind. Somit sind die Anforderungen an einen temporären Verschluss ausgehend von den Anforderungen für den definitiven Verschluss zu formulieren und entsprechend dem Zeitraum, für welchen der Verschluss wirksam sein soll, anzupassen. Als Planungsziel gilt hierbei, dass der Erfüllungsgrad der Anforderungen möglichst nahe an jenem vom ordnungsgemässen Gesamt-verschluss ist.
Die Nagra wird ein Konzept zum temporären Verschluss mit dem Baubewilligungsgesuch ausarbeiten und einreichen.
In Anlehnung an die Lebensdauer der untertägigen Infrastruktur. Bei Auslegungsüberschreitung muss z. B. eine Verfüllung der Lagerfeldzugänge – hinsichtlich der mechanischen Stabilisierung – ab einem Zeitpunkt in Betracht gezogen werden, so dass auch die geforderte Reversibilität des temporären Verschlusses zur Rückführung in einen ordnungsgemässen Verschluss – auch "nach Jahrhunderten" – möglich ist. ↩
Ein Schotter aus Kalkstein ist notwendig, um das pH-Milieu nicht negativ zu beeinflussen. Hinweis: Der Einbau eines hochpermeablen Monokorn-Mörtels wäre bei gegebener Kavernengrösse gegenüber dem Kalksteinschotter mit erheblich höherem Aufwand verbunden. Ist eine Lagerkaverne nicht vollständig mit SMA-Behältern gefüllt, erhöht sich das zu verfüllende Volumen erheblich. ↩
Mit fortschreitendem Zeitraum und fortschreitender Korrosion der SMA vergrössert sich der Bedarf an Gasspeichervolumen, der je nach Füllgrad der Abfälle pro Lagerkaverne zeitlich limitiert ist. Bei bereits voll beschickten Lagerkavernen müssen zumindest Teile der Lagerfeldzugänge ebenfalls verfüllt werden, um Gasspeichervolumen auch über die Lebensdauer der Ausbruchsicherung hinaus zu bewahren. ↩